EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
III: Simon Laks – Divertimento (1966)
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EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
I: Constantin Regamey – Quintet (1944)

1 Tema con variazioni EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
I: Constantin Regamey – Quintet (1944)
1 Tema con variazioni

2 Intermezzo romantico EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
I: Constantin Regamey – Quintet (1944)
2 Intermezzo romantico

3 Rondo EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
I: Constantin Regamey – Quintet (1944)
3 Rondo

II: Józef Koffler – Love (Miłość), Cantata op. 14 (1931)

4 Adagio – Vivace – Un poco mosso – Tempo I EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
II: Józef Koffler – Love (Miłość), Cantata op. 14 (1931)
4 Adagio – Vivace – Un poco mosso – Tempo I

III: Simon Laks – Divertimento (1966)

8 Allegro non troppo quasi una marcia EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
III: Simon Laks – Divertimento (1966)
8 Allegro non troppo quasi una marcia

9 Andante EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
III: Simon Laks – Divertimento (1966)
9 Andante

10 Molto allegro e giocoso EDA 37: Poland Abroad – Chamber Music
III: Simon Laks – Divertimento (1966)
10 Molto allegro e giocoso

Nach gerade einmal 20 Jahren nationaler Selbständigkeit wurde die junge polnische Nation nach dem 1. September 1939 von einer Welle der Gewalt niedergedrückt, die alles an Grauen übertraf, was das Land zuvor in den 123 Jahren der Okkupation durch die Monarchien Preußens, Russlands und Österreich-Ungarns zwischen 1795 und 1918 zu erleiden hatte. Auf polnischem Boden wurde die systematische Vernichtung der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland durchgeführt. Von Stalins Roter Armee in den ersten Kriegsmonaten sekundiert, brachten SS und Wehrmacht durch Kriegshandlungen, Strafmaßnahmen und willkürliche Erschießungen aber auch nahezu ein Viertel der polnischen nichtjüdischen Bevölkerung ums Leben. 6 Millionen Menschen ließen in diesem Land ihr Leben.

Zerstört und verboten wurde alles, was das nationale Selbstbewusstsein – und damit den Widerstand – stärken oder aufrecht erhalten konnte. Höhere Schulen und Universitäten, Theater, Rundfunkanstalten, Opern- und Konzerthäuser wurden geschlossen, soweit sie durch Bombardierungen im September 1939 nicht bereits in Schutt und Asche lagen, oder, wie etwa in Krakau, dem Verwaltungssitz des wie ein König Staat haltenden Generalgouverneurs Hans Frank, durch deutsche Neugründungen „germanisiert“ wurden. Kaum eine Aktion war in diesem Zusammenhang von so hoher symbolischer Bedeutung wie die Demontage des Warschauer Chopin-Denkmals 1940. Der legendäre polnische Widerstand wurde durch solche Aktionen allerdings eher angefacht als gebrochen. Musik wurde zu einer Waffe gegen die Degradierung, zu einem Medium der Selbstachtung, der kulturellen Selbstvergewisserung und des Trostes.

Das professionelle Musikleben verlagerte sich in den privaten Bereich, in den Untergrund und in die Kaffeehäuser, die zu (stets gefährlichen, weil von Razzien bedrohten) Treffpunkten des geistigen Widerstands wurden. Das Musizieren wurde in den Ghettos unter strengsten Auflagen erlaubt, in den Vernichtungslagern sogar angeordnet. Musiziert wurde unter dramatischen, verzweifelten und oft zynischen Umständen. Den Krieg und den Holocaust überlebten unter Tausenden von jüdischen Musikern nur wenige. Die meisten wurden vergast, erschossenen, oder starben an Krankheit und Auszehrung.

Vorliegende Aufnahme entstand im Zusammenhang mit der Ausstellung „Musik im okkupierten Polen 1939–1945“, die von der polnischen Musikwissenschaftlerin Katarzyna Naliwajek-Mazurek kuratiert wurde, in der die Folgen der Zerstörung des polnischen Musiklebens während der Okkupation Polens durch Nazi-Deutschland erstmals systematisch aufgearbeitet wurden. Sie war im Chopin-Jahr 2010 in französischer Fassung beim Festival „musiques interdites“ in Marseille, in deutscher Fassung beim Schleswig-Holstein Musikfestival in Hamburg und Kiel und in polnischer Fassung beim Festival „Warschauer Herbst“ zu sehen. Zur Eröffnung der Ausstellung in Hamburg spielte das Aperto Piano Quartett mit befreundeten Musikern Werke von Simon Laks, Constantin Regamey, Roman Padlewski und Josef Koffler. Die Musiker spielten das Programm noch einmal in etwas abgewandelter Form bei der Wiederholung des Projektes in Berlin im Oktober/November 2010 in Zusammenarbeit mit der Berliner Akademie der Künste und der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Die hier dokumentierte Produktion drei der vorgestellten Werke in Koproduktion mit Deutschlandradio Kultur schloss sich im Januar und April 2011 an. Auch wenn lediglich Regameys Quintett in dem durch die Ausstellung dokumentierten Zeitraum entstand, ist das Schicksal aller Autoren doch repräsentativ für das Schicksal der Musik in Polen während des 2. Weltkriegs.

 

„Die Quasi-Sicherheit, dass er den Krieg nicht überleben werde,
und die völlige Isolierung im besetzten Warschau bedeutete auch,
dass er sich in einer Situation völliger Ungebundenheit befand.“

Jürg Stenzl

 

Zu den couragierten Musikern, die sich aktiv im polnischen Widerstand betätigten, gehörte Constantin (polnisch: Konstanty) Regamey (1907–1982), eine der faszinierendsten Persönlichkeiten nicht nur der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sein komplexer Stammbaum setzte sich über seinen Lausanner Urgroßvater Louis Regamey, der nach Wilna emigriert war und sich später in Kiev niederließ, aus Schweizer Linien zusammen; durch die Urgroßmutter kamen polnische, durch die Großmutter ungarische und italienische, und durch die in Russland aufgewachsene Mutter schwedische und serbische hinzu. 1920 ließ sich seine Mutter mit ihrem zweiten Mann, einem polnischen  Offizier, in Warschau nieder, wo Constantin Schule und Studium absolvierte und eine brillante Laufbahn als Dozent für Indologie an der Universität begann. Nebenbei widmete er sich, nicht weniger professionell, der Musikkritik: mit 16 Jahren veröffentlicht er seine erste Rezension und wird 1937 Chefredakteur der führenden polnischen Musikzeitschrift „Muzyka Polska“. Nach Schließung der Warschauer Universität durch die Nazis engagiert er sich im Geheimen Musikrat, einer Abteilung des polnischen Untergrundes, die sich während der Nazi-Besatzung für die Aufrechterhaltung des Kulturlebens und für die Versorgung notleidender Musiker einsetzt, wo er in mehreren Ausschüssen tätig ist. 1942 entsteht, nach ersten Kompositionsversuchen als Jugendlicher, sein op.1, die Chansons persanes, die bei einem vielbeachteten Untergrundkonzert zur Uraufführung kommen und in denen er bereits mit Schönbergs 12-Ton Technik experimentiert. Als zentrales Ereignis wird jedoch die Uraufführung seines Klavierquintetts am 6. Juni 1944, nur wenige Wochen vor Ausbruch des Warschauer Aufstandes, in die polnische Musikgeschichte eingehen. Unter den anwesenden Musikern befand sich auch der mit Regamey eng befreundete Witold Lutosławski, der seine Erinnerungen an das Ereignis nach dem Krieg festhielt: „Man erkannte, dass man einem ganz ausgereiften, höchst raffinierten und doch von all dem, was damals den Stil und die Schreibweisen der polnischen Musikkultur der dreißiger und vierziger Jahre ausmachte, völlig unabhängigen Werk gegenüberstand. Nicht erstaunlich, handelte es sich doch um das erste in Polen entstandene dodekaphone Werk. (Der erste Vertreter der 12-Ton Technik war zwar Józef Koffler, der in dieser Zeit in Lwów lebte; von seinen Aktivitäten wusste man aber allerdings nichts in Warschau.) Aber die Technik alleine hätte nicht ausgereicht, um die Uraufführung so sensationell erscheinen zu lassen. Viele Faktoren trugen dazu bei, und es gilt besonders die außerordentliche Erfindungskraft des Komponisten und seine ganz persönliche Art der Verwendung von Schönbergs Methoden hervorzuheben.“

Regameys Quintett ist in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Werk. Entstanden unter Lebensumständen, in denen jeden Tag mit Erschießung oder lebensgefährlicher Erkrankung zu rechnen war, als op. 2 eines Komponisten, der nie eine Kompositionsklasse besucht hatte, verblüfft es zunächst durch seine Dimensionen, seine ungewöhnliche Besetzung und seine außerordentliche Virtuosität. Hier komponiert einer, der auf keinerlei Zeitgeschmack oder Erwartungshaltung Rücksicht nehmen muss. Wie der Schweizer Musikwissenschaftler Jürg Stenzl zu recht bemerkte, handelt es sich – wie auch bei dem ähnlich besetzten und ebenfalls unter dramatischen Umständen entstandenen Quatuor pour la fin du temps Olivier Messiaens, um Musik, die wohl nur aus diesem Erlebnis des „Endes der Zeit“ heraus zu begreifen ist. Regameys außerordentliche Sprachbegabung – als Linguist beherrschte er über 20 Sprachen – findet ihr Korrelat in der verblüffenden Vielfalt der „Idiome“ und Kompositionstechniken, die in seinem Quintett „zu Worte“ kommen, und der doch nichts Eklektizistisches oder Willkürliches anhaftet. Hier zieht ein enzyklopädischer Geist die Summe seiner Epoche, die eine zerrissene ist, und ruht sich dabei nicht auf von anderen gesichertem Terrain aus. Fratzenhafte Maskierungen à la Schostakowitsch und Prokofjew sind Mittel des Ausdrucks für eine als „surreal“ empfundene Lebenssituation, und Schönbergs 12-Ton Technik dient bezeichnenderweise im „Intermezzo romantico“ dem Einzug von Netz und doppeltem Boden beim letzten Blick zurück ins 19. Jahrhundert.

Regamey wurde im Anschluss an den niedergeschlagenen Warschauer Aufstand verhaftet und ins Konzentrationslager Stutthof (in der Nähe von Danzig) verschleppt. Dank seines Schweizer Passes wurde er in die Schweiz abgeschoben, wo er seine Laufbahn nicht nur als einer der weltweit führenden Indologen und Sprachwissenschaftler an den Universitäten von Fribourg und Lausanne, sondern auch als einer der renommiertesten Komponisten der Schweiz fortsetzen konnte. Die polnische Musikhistoriographie hat Regamey ebenso einen Platz in ihrer Geschichte eingeräumt, wie die schweizerische. Er selber jedenfalls fühlte sich dem polnischen Musikleben zeitlebens verpflichtet, ließ seine Werke auch nach dem Krieg in Polen verlegen, wurde in Polen regelmäßiger aufgeführt als in der Schweiz oder in Deutschland und wahrte bis zu seinem Tod engsten Kontakt zu seinen polnischen Musikerfreunden.

 

„… und hätte der Liebe nicht…“

Paulus, Brief an die Korinther

 

Wie Lutoslawski in seinen Erinnerungen an die Uraufführung von Regameys Quintett zurecht konstatierte, stammte das erste dodekaphone Werk der polnischen Musikgeschichte nicht aus Regameys, sondern aus der Feder des Lemberger Komponisten Josef (polnisch: Józef) Koffler (1896–1943). Doch Koffler, der heute als wichtigster Wegbereiter der Neuen Musik in Polen gilt, war in Warschau Kreisen der Vorkriegszeit weniger bekannt als im Ausland, wo seine Werke regelmäßig bei den Festivals der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik auf dem Programm standen. Im galizischen Stryj geboren, ging Koffler 1914 nach Wien zum Studium des Rechts und der Musik (Komposition, Dirigieren und Musikwissenschaft). Nach dem Militärdienst in der österreichischen Armee promovierte er 1923 bei Guido Adler über „orchestrale Koloristik in den symphonischen Werken von Mendelssohn-Bartholdy“ und ließ sich ab 1924 in Lemberg nieder, wo er den damals ersten und einzigen Lehrstuhl in Polen für atonale Kompositionstechniken innehatte. Koffler, der sich in Wien mit Alban Berg anfreundete, lernte Arnold Schönberg, mit dem er ab 1929 korrespondierte und als dessen Schüler er bisweilen bezeichnet wird, nie persönlich kennen. Die Auseinandersetzung mit Schönbergs Methode jedoch wird für sein Schaffen bestimmend, und dies schon ab 1926, womit er zu den Pionieren der Dodekaphonie gehörte. Der Vergleich der 1931 komponierten Kantate auf Worte des Heiligen Paulus mit dem Quintett von Regamey zeigt, zu welch grundverschiedenen Ergebnissen die Anwendung von Schönbergs Theorie führen konnte, wie sehr diese Ergebnisse von den künstlerischen Absichten der Autoren bestimmt waren. Auch wenn Regameys Versicherung, dass die 12-Ton Technik ihm in keiner Weise dazu diene, „die Tonalität zu ersetzen, sondern einzig dazu, eine polyphone Disziplin zu liefern und eine interne, thematische und harmonische Einheit zu schaffen“ nicht weniger auf Kofflers Werk zutrifft, so liegen die stilistischen Positionen dieser beiden Werke doch Welten auseinander. Dient Regamey die Reihe (bzw. die Reihen) gleichsam als Rohstoff für die Organisation komplexer harmonischer wie melodischer Verläufe, in denen die thematische „Persönlichkeitsstruktur“ der Reihe eher wie ein genetischer Code funktioniert, so tritt gerade diese bei Koffler dominierend, also melodisch-thematisch hervor. Kofflers Reihe ist darüber hinaus nach stark affektgeladenen Vorbildern der musikalischen Vergangenheit modelliert (Kleine-Sext Aufschwung wie zu Beginn von Wagners Tristan, absteigende Linie mit chromatischen Fortschreitungen gemäß dem barocken „passus duriusculus“) und mit einer zum „Grundton“ hin kadenzierenden zweiten Reihenhälfte angelegt, wodurch sich ein Gefühl „tonalen“ Zusammenhaltes einstellt. Ist Regameys Quintett von epischen Dimensionen und einer überbordenden Fülle an Einfällen gekennzeichnet, findet Koffler zu höchster Konzentration und Innigkeit des Ausdrucks, die dem Gestus einiger Werke des späten Bach nahesteht.

Nach der Annexion der Westukraine durch die UDSSR im September 1939 übernahm Koffler am Staatlichen Mykola Lysenko Konservatorium den Lehrstuhl für Komposition und das Amt des Prorektors. Noch im selben Jahr wurde er zum Sekretär des Komponistenverbandes der Sowjet-Ukraine ernannt. Es folgte eine kurze Phase existenzieller Sicherheit und beruflicher Stabilität, auch wenn er gezwungen war, sich nach einer Formalismus-Kritik dem Diktat des sozialistischen Realismus zu beugen. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1941 in Lemberg wurde er mit seiner Familie in das Ghetto von Wieliczka umgesiedelt. Die Umstände seines Todes sind nach wie vor nicht vollständig geklärt. Offenbar konnte sich die Familie nach Liquidierung des Ghettos 1942 in der Nähe von Krosno verstecken, wo sie 1943 von einer deutschen Einsatzgruppe ausgehoben und bei einer Massenerschießung umgebracht wurde.

 

« Hélas! Hélas! La morte violente est de nos jours fréquente. »

Simon Laks/André Lemarchand L’Hirondelle inattendue

 

Szymon Laks (1901–1982), der seinen Vornamen in Frankreich zu Simon französisierte, gehörte zu jener Gruppe junger polnischer Musiker, die sich 1926 in Paris zu einer Künstlervereinigung zusammenschlossen und als ehemalige Studenten des Conservatoire und der Privatakademie von Nadia Boulanger bald im Pariser Musikleben von sich reden machten. Von Alexandre Tansman unterstützt, den ästhetischen Idealen des Néo-Classicisme nahestehend, vereinigte sich in dieser „Association des Jeunes musiciens polonais“ die damalige Musikerelite Polens, die sich entweder dauerhaft in Frankreich niederließ oder als Heimkehrer wichtige Impulse für die Entwicklung des polnischen Musiklebens der späten zwanziger und dreißiger Jahre lieferte. Laks, der in Warschau geboren war und nach Studien in Vilnius und Warschau auf dem Weg über Wien nach Paris kam, spielte in der Association eine wichtige Rolle. Er hatte das Conservatoire mit Auszeichnung abgeschlossen und komponierte seit Beginn der 30er Jahre für eine Reihe bedeutender Musiker und Ensembles wie das Quatuor Roth, den legendären Ravel-Spezialisten Vlado Perlemuter und Maurice Maréchal, den renommiertesten französischen Cellisten seiner Zeit.

1941 aufgrund seiner jüdischen Abstammung inhaftiert, wurde er im Sommer 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz-II Birkenau deportiert, wo er dank seiner breitgefächerten musikalischen Fähigkeiten einer der Lagerkapellen als Geiger, Arrangeur und schließlich Leiter zugeteilt wurde. Laks überlebte das Vernichtungslager und ab 1944 mehrere Arbeitslager „durch eine unendliche Reihe von Wundern“, wie er später in seinem Buch „Musik in Auschwitz“ resümierte.

Das 1966 vom Ensemble Instrumental Paris in der Salle Pleyel uraufgeführte Divertimento entstand ein Jahr nach der Komposition von Laks’ Hauptwerk, der Oper L’Hirondelle inattendue (Die unerwartete Schwalbe, eda 35), kurz bevor er sich unter dem Eindruck des Sechs-Tage-Krieges und des neuen Staats-Antisemitismus in Polen vom Komponieren verabschiedete und literarischen Arbeiten zuwandte. Neben der Cellosonate, den Streichquartetten 3-5 (die ersten beiden vor dem Krieg entstandenen sind verschollen) und den 3 Pièces de concert gehört es zu den gelungensten Kammermusikwerken Laks’, das seine dem Neoklassizismus verpflichtete Ästhetik in Vollendung zeigt. Wie auch bei den anderen in Paris arbeitenden und von zwei sehr unterschiedlichen Kulturen geprägten polnischen Komponistenkollegen, beeindruckt bei Laks die gelungene Mischung aus französischer Clarté – Präzision, Prägnanz, Humor,– und einer sich aus heimischen, polnischen Quellen speisenden Innerlichkeit und melodischen Empfindungskraft.

Die im Divertimento zur Schau gestellte satztechnische Meisterschaft und formale Perfektion täuschen beim oberflächlichen Hören über die Stolpersteine hinweg, mit denen Laks seine Musiker und Zuhörer konfrontiert. Ein feines Gespür ist erfordert, um den Charakter dieser Musik zu erfassen, ihre Abstufungen zwischen lyrischer Zartheit und quecksilbriger Laune. Schon in der Introduktion des ersten Satzes erweist sich Laks als Meister der Ambivalenz, einem Marsch, der durch seine unregelmäßige Metrik ins Hinken gebracht wird, dem aber auch nichts karikaturales anhaftet. Einige Klangmassen werden da in Bewegung gesetzt, von denen sich der fein ziselierte, rhythmische pointierte Satz der Überleitung absetzen kann. Virtuoses Interagieren, eine gewisse Akrobatik, in jedem Falle Präzisionsarbeit ist erfordert. Dies in gesteigertem Maße im halsbrecherischen dritten Satz, in dem sich die Musiker in atemberaubendem Tempo die Bälle zuwerfen. L’art pour l’art, Musik um ihrer selbst willen, mag man da denken, das vollkommene Gegenteil jedenfalls einer Musik, die versucht, der Hölle des Holocaust mit Tönen beizukommen. Laks, der mit seinem ersten Buch nicht ein Buch über Auschwitz schrieb, sondern ein Buch über die Musik in Auschwitz, was zu betonen ihm wichtig war, wäre es zuwider gewesen, Töne mit dem unaussprechlichen Grauen zu belasten, das jahrelang zu sehen und auszuhalten er gezwungen wurde. Wer die Pervertierung der Musik in der Tötungsmaschinerie der Deutschen miterlebt hatte, wird die Nazis auch auf Umwegen nicht wieder in seine Kunst hineinlassen wollen. Laks fand andere Wege, der Vernichtung der polnischen und polnisch-jüdischen Kultur zu gedenken. Etwa indem er die unzerstörbaren Relikte dieser Kulturen selber sprechen ließ, wie in seinem 3. Streichquartett „über polnische Themen“ (1945), oder in seinen Bearbeitungen jüdischer Volkslieder, den Huit chants populaires juifs (1947). Diskret zitiert er mit dem A-Teil des zweien Satzes eine Stelle aus seiner Oper L’Hirondelle inattendue (Die unerwartete Schwalbe), ein im Kontext der Oper auffallend introvertierter Moment zu den Worten „Hélas! Hélas! La mort violente est de nos jours fréquente“ (Häufig ist heute leider der gewaltsame Tod). Nur wer die Oper kennt, wird die Anspielung bemerken, und nur vor dem Hintergrund von Laks’ Biographie ist sie nachzuvollziehen. In einer Welt, die selbst nach der größten Menschheitskatastrophe im Nu zur Tagesordnung übergehen konnte, musste man laut schreien, um gehört werden. Laks, Meister des Understatement, zog die leisen Töne vor, und schließlich das Verstummen.

Frank Harders-Wuthenow

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